Viel (meditieren) hilft viel?
Möglichst viele Spenden für einen guten Zweck, möglichst viel üben, um ein guter Sportler, ein Super-Musiker und ein guter Koch zu werden oder eine Sprache richtig gut zu erlernen? Ja, das sind Beispiele dafür, dass viel viel hilft und zum Erfolg führt.
Beim Umgang mit Lebewesen sieht es schon anders aus. Vollwertige Nahrung ohne Giftstoffe ist perfekt, aber zuviel davon macht übergewichtig und krank. Ein Gärtner, der es schrecklich gut meint und seine Pflanzen mit einer Überdosis von Dünger versorgt und sie mit Unmengen von Wasser überschüttet, wird das Gegenteil von dem erreichen, was er eigentlich möchte. Auch eine Überdosis eines an sich hilfreichen Medikamentes ist schädlich und eine endlose Massage, bis das Gewebe mürbe ist und alles grün und blau ist, wäre nicht empfehlenswert.
Beim Meditieren soll es für die meisten darum gehen, in der Präsenz des Hier und Jetzt anzukommen, zu sich selbst zu kommen, in seine Mitte zu kommen. Hilft es da, möglichst viel zu meditieren? Der Gedanke ist naheliegend und doch nur ein Gedanke, der auch in die Irre führen kann. Ich habe mehr als ein Dutzend einwöchige Retreats mit striktem Schweigen und Meditieren von 5 Uhr morgens bis spät abends eifrig mitgemacht. Damals habe ich es als sehr wohltuend erlebt, mal eine Woche innerlich total vom ganzen übrigen Leben auszusteigen, nur mit mir zu sein. Regelmäßig kam nach einer anfänglichen Flaute nach etwa drei Tagen richtig viel Energie im Körper-Geist-Seele-System auf. Und in der allerersten Woche hatte ich dann auch noch ein besonderes Erlebnis…Das ist jetzt mehr als 30 Jahre her. Hat das viele Meditieren mein Leben total für immer verändert?
Ja und nein. Ja, weil das oft zu einer Neu-Ausrichtung meines Lebens führte mit Kursänderungen. Nein, weil “nach dem Spiel vor dem Spiel” ist. Das Leben geht immer weiter, bringt permanente Veränderung mit immer neuen, noch nicht da gewesenen Konstellationen und Herausforderungen. Ein für allemal “durch”, “erlöst”, “erwacht” zu sein, ist nichts weiter als eine der vielen, mehr oder wenigen nützlichen Ideen, die unser Verstand produziert. Schön wär’s, aber es funktioniert nicht.
Sich mit Zielen auf die Matte zu setzen, um “weiter”, “höher” oder “tiefer” zu kommen, ist nichts anders als das zu tun, was wir im “Alltags-Modus” von morgens bis abends tun: wir wollen immer wohin kommen, also, anders ausgedrückt, nicht da sein, wo wir wirklich sind. Wer mit dieser inneren Ausrichtung viel “meditiert”, läuft Gefahr, viel Zeit und Energie zu verschwenden.
Die vagen Vorstellungen von “weiter”, “höher”, “tiefer” entspringen einer Sehnsucht, irgendwie in ein gelobtes Land zu kommen, in dem das Leben schön, reich und ohne Leiden ist. Paradoxerweise kommen wir dorthin, wenn wir alles akzeptieren, was ist – in uns und um uns herum, was immer es ist. Aber nichts fällt uns schwerer als das, wenn wir nicht gerade in einer konfliktfreien Wohlfühl-Zone sind, z.B. auf einem Meditations-Wochenende im Grünen auf dem Land, umgeben von scheinbar Gleichgesinnten, in einem angenehmen Raum mit schönen Hölzern und großen Fenstern mit Blick in die Natur. Da fällt das Akzeptieren schon sehr viel leichter.
In die Präsenz zu kommen, in der dann plötzlich alles da ist, was wir brauchen, ist wie das Aufwachen aus einem Traum. Wahrnehmen, was wirklich ist, ungeschminkt, anstatt unser Kopf-Kino für real zu halten, und damit auch wirklich zu sich zu kommen und bei sich zu sein. Möglichst viel zu meditieren in gut gemeinter Absicht, kann tückischerweise ein Abwehrmanöver unseres trickreichen Verstandes sein. Es kann bedeuten, weiter an seinen Träumen festzuhalten, als ob die real wären. Wirkliches Aufwachen sieht anders aus.
In den letzten Jahrzehnten haben viele aufgeweckte, querdenkende Freigeister neue Wege ge- oder er-funden, um das zu erreichen. Das Aufwachen bedeutet immer auch, in unserem Körper-Geist-Seele-System unsere Intelligenz aus dem Gefängnis vorgefasster Meinungen und Methoden zu befreien und damit wirkliche Kreativität zu ermöglichen. Und die findet unzählige Wege. Aufwachen ist immer möglich, z.B. HIER… und……JETZT!