Wir leben in bewegten Zeiten, in denen es zunehmend unruhiger zu werden scheint. Zumindest unsere Medien zeichnen so ein Bild. Außenpolitisch sowieso, aber auch innenpolitisch formieren sich mehr und mehr Kräfte gegeneinander anstatt eines Füreinander zum relativen Wohl aller. Die Polarisierung in gegnerische, wenn nicht sogar feindliche, Lager nimmt zu. Die Grundidee der Kombattanten ist den Gegner zu besiegen, auszuschalten, unschädlich zu machen, und selbst die alleinige Macht und Kontrolle über die Situation zu erlangen.
Es ist im Großen dasselbe Spiel wie in unserem Inneren: ein Teil von uns, natürlich der „bessere, wertvollere, wichtigere“ ( in der Sicht dieses Teils), will gewinnen und die anderen Anteile beseitigen. Viele, wenn nicht alle Menschen haben solche gewalttätigen Ideen in sich- sich selbst wie auch anderen gegenüber. Da geht es nicht um Verständnis und Akzeptanz der anderen Anteile in mir, sondern um radikale Ausschaltung. Innen wie außen steckt der Wunsch dahinter, ein für alle Mal die Macht zu übernehmen, ohne lästiges Infragestellen oder Anfechtungen.
Im „ Focusing“, einer leider viel zu wenig bekannten entwicklungsfördernden/ therapeutischen Haltung und Technik, geht man einen ganz anderen Weg. Man nimmt alles im Körper-Geist-Seele-System wahr, was sich zeigt oder zeigen will, richtet die Aufmerksamkeit dorthin, sagt „Hallo“ zu diesen Anteilen, auch oder sogar gerade, wenn diese unerwünscht, schmerzhaft, beschämend sind.
Es ist das große Paradox und Geheimnis von wirklicher Weiterentwicklung und Heilung, dass das Zulassen, das Wahrhaben, das (innere) Sehen dieser Teile nachhaltige Veränderung mit sich bringt. Unser Alltagsverstand will uns weismachen, dass wir das „ schlechte, negative“ in uns doch nicht akzeptieren können, denn das Zulassen müsste es ja verstärken. Für unsere kleinen egoistischen Ichs ist die Haltung des Zulassens total kontra-intuitiv. Viele Menschen kämpfen deshalb ihr ganzes Leben lang gegen Teile von sich selbst, was neben vielen anderen schwierigen Konsequenzen auch einen mehr oder weniger großen Teil ihrer Energie unproduktiv verbraucht.
Wenn wir unsere unerwünschten Anteile nicht einmal richtig wahrnehmen, bedeutet das auch, sie nicht wirklich kennenzulernen und umso weniger Einfluss auf sie ausüben zu können. Unter den Teppich kehren, führt nur scheinbar zu einem aufgeräumten Zimmer. Irgendwann meldet sich der „ Müll“ auf die eine oder andere Weise, ohne dass wir darauf dann noch Einfluss hätten und deshalb umso störender.
Die Akzeptanz, die hier gemeint ist, bedeutet nicht, willenlos zu allem Ja zu sagen und einverstanden zu sein, sondern nur, das, was tatsächlich da ist, innen wie außen, als Tatsache meiner momentanen Realität anzuerkennen.
Ich kann mich noch gut an einen längeren Spaziergang in der Sonne mit unserer damals vielleicht dreijährigen Tochter erinnern, die sich in den Kopf gesetzt hatte, unbedingt ein Eis zu brauchen, um sich gut zu fühlen. Es folgte ein trotziger Machtkampf, vorbei an etlichen Menschen die sich vielleicht fragten, was da für Rabeneltern unterwegs sind, die ihr Kind eine halbe Stunde lang schreien lassen. Meine Tochter hat das Eis nicht bekommen und nach dem Abklingen ihrer wütenden Durchsetzungsversuche ging es ihr blendend. Als ob sie damals im Rahmen ihrer Möglichkeiten erfahren hätte, dass sie gar keine Süßigkeit brauchte, um sich gut und mit sich im Reinen zu fühlen.
Es wäre so viel einfacher gewesen, ihr einfach das Eis zu kaufen und unsere Ruhe zu haben. Unsere Tochter sollte aber lernen, dass sie nicht in einer Welt lebt, der man alles bekommt, was man möchte, wenn man nur lange genug maximalen Druck macht. Am liebsten wären wir alle allmächtig und würden im Schlaraffenland leben. Es gehört zu einer gesunden Entwicklung, die eigenen Grenzen kennenzulernen und zu akzeptieren, und später ebenso die Grenzen anderer Menschen wahrzunehmen und zu respektieren.
„ Aggression ist schlecht“ hat mal ein bekannter buddhistischer Lehrer gesagt. Vielleicht meinte er: Gewalt ist schlecht. Jedes Lebewesen, jeder Organismus muss und will sich natürlicherweise selbst behaupten und gegebenenfalls verteidigen, und so gesehen ist diese Form von „Aggression“ nicht schlecht, sondern ein notwendiger Bestandteil des Lebens.
Demgegenüber ist Gewalt, die die Grenzen des anderen nicht respektiert und überschreitet, destruktiv und lebensfeindlich. Den Versuch unserer Tochter, sich um jeden Preis durchzusetzen, haben wir als Eltern zunächst respektiert und zugelassen, ihr dafür auch kein schlechtes Gewissen eingeredet oder sie im Gegenzug mit heftigen Strafen bedroht, wie man es früher in der „ schwarzen Pädagogik“ gemacht hat . Der Wille des Kindes sollte damals gebrochen werden: „Wer was will, kriegt was auf die Brill‘“. Wir haben aber gegengehalten, uns nicht emotional erpressen lassen, um eine gute Entwicklung zu unterstützen.
Zurück zum großen Ganzen und dem Umgang mit politischen Gegnern. Wenn man will, dass sich die Dinge zum Besseren friedlich weiter entwickeln, geht es zunächst darum, Menschen und ihre Beweggründe möglichst gut zu verstehen, ihnen zuzuhören und sie nicht vorschnell als schlecht zu verurteilen. Wenn man sich entscheidet, das nicht zu tun, bewegt man die Situation mehr und mehr in Richtung Gewalt und Krieg.
Menschen, die sich kritisiert und angegriffen fühlen, reagieren in der Regel spontan und unreflektiert mit Gegenwehr, und im Hin und Her von Reaktion und Gegen-Reaktion schaukeln sich die Spannungen auf. Sorgfältig zuzuhören heißt zunächst, den Gegner so zu akzeptieren wie er wirklich ist, was aber eben nicht bedeuten muss, einverstanden zu sein. Erst wenn das weltweit zur Maxime geworden ist, im Kleinen wie im Großen, kann ich mir einen wirklichen Frieden auf Dauer vorstellen.